„Ihr wart Boden und Wasser“
Mit einer abermals umjubelten „Krug“-Vorstellung, 15.000 Festivalbesucher:innen in sechs Wochen (und damit um 50 Prozent mehr als im Vorjahr) sowie einer Gesamtauslastung von 98 Prozent sind die diesjährigen Tiroler Volksschauspiele Samstag Abend mitten im Herzen von Telfs zu Ende gegangen. Gemeinsam mit seinem Bruder Tobias Moretti und dem letztjährigen ersten Preisträger Arthur Thöni hat Gregor Bloéb zum Abschluss seiner zweiten Saison als künstlerischer Leiter noch den im Vorjahr ins Leben gerufenen Preis der Tiroler Volksschauspiele RUTH vergeben. Er ging heuer „an zwei Menschen, die unwiderruflich mit dem Beginn und der Geschichte der Tiroler Volksschauspiele verbunden sind“: an Altbürgermeister Helmut Kopp und die langjährige Geschäftsführerin des Gründungsvereins Silvia Wechselberger.
Mit einem herzlichen Dankeschön an alle Künstler:innen und Mitwirkenden auf und hinter der Bühne, an alle Telfer:innen und insbesondere die Anrainer:innen („wir sind hier guerilla-artig in das Herz von Telfs eingefallen, und ihr habt uns freundschaftlichst aufgenommen“) hat Gregor Bloéb den diesjährigen Festivalsommer gestern Abend nach der mit Standing Ovations gefeierten Derniére des „Zerbrochnen Krugs“ offiziell beendet. Jubelrufe und tosenden Applaus gab es freilich nicht nur für das All-Star-Ensemble Corinna Harfouch, Annalena Hochgruber, Franziska Machens, Harald Schrott, Lenz Moretti und Tobias Moretti, sondern im Anschluss auch für die neuen RUTH-Preisträger Altbürgermeister Helmut Kopp und Silvia Wechselberger.
Der im Vorjahr erstmals vergebene Preis, der nach der großen Mitbegründerin des Festivals Ruth Drexel benannt ist, sei Anerkennung, Sichtbarkeit, Verneigung, Dankeschön, so Bloéb zu Beginn des kleinen Festakts am Eduard-Wallnöfer-Platz. „Ihr wart Boden und Wasser“, umschrieb Bloéb gleich zu Beginn die Bedeutung der diesjährigen Preisträger. Die Laudatio für Kopp und Wechselberger teilte er sich mit seinem „Bruder Adam“ Tobias Moretti.
Denkwürdige Begegnungen
Sowohl Bloéb wie Moretti würzten ihre Würdigung mit einer Anekdote über ein denkwürdiges Erlebnis mit den beiden Preisträgern. Moretti erzählte von seiner ersten harten Gagenverhandlung mit Wechselberger, welche ihm hinterher eine Investition ermöglichte, die ihm letztlich den Weg ans Residenztheater ebnen sollte. Bloéb erinnerte sich an seine erste Begegnung mit dem Telfer Langzeitbürgermeister – „da war ich fünfzehn und er hat mich um a Tschigg angeschnorrt“.
Kopps legendärer wagemutiger Satz „Kemmt´s zu uns – bei uns gibt´s koa Zensur“, der den Tiroler Volksschauspielen eine dauerhafte Heimat in Telfs geben sollte, sei erst kürzlich wieder in der Süddeutschen Zeitung zitiert worden, so Bloéb. „Wir wiederholen ihn sowieso jedes Jahr aufs Neue, ist er doch die bis heute festgeschriebene DNA der Tiroler Volksschauspiele. Nachdem Hall die Volksschauspiele um Ruth Drexel, Hansl Brenner, Josef Kuderna, Kurt Weinzierl und Co rausgeschmissen haben – wie blöd kann man sein – hast du sie aufgenommen, den Ausgestoßenen Asyl gegeben – und wir sind gekommen, um zu bleiben.“
Schutzgeist und Schönheitsgöttin, Boden und Wasser
Kopp habe die Volksschauspiele verteidigt und beschützt – jahrzehntelang, er habe Bombendrohungen, Anfeindungen, Geldnöten, Platzmangel, Wetterkapriolen getrotzt. Er sei der Inbegriff dessen, ergänzte dann noch Tobias Moretti, „wovon man heutzutage nur noch träumen kann: eine völlige Übereinstimmung seines Amtes, seines Handelns, seines Menschseins.“
Die zweite RUTH-Preisträgerin Silvia Wechselberger skizzierte Moretti als Schönheitsgöttin Aphrodite und erinyenhafte Hüterin des heiligen Finanzgrals in Personalunion. Als solche habe sie auch die Weichen für seine weitere künstlerische Laufbahn gestellt. Denn mit dem dunkelblauen Alfa, den er von der ersten ausverhandelten Gage erstand, obwohl er doch „knapp vorm Verhungern“ war, habe er eines Nachts Ruth Drexel heimgefahren – mit einem riesigen Stein auf der Beifahrerseite, der ihm als jungem Schauspieler in Hannover das Heimweh lindern sollte. Den Eindruck, den er dadurch hinterließ, war so nachhaltig, dass Ruth Drexel ihn sodann mit der Hauptrolle in „Hahnenkampf“ am Residenztheater betraute. „Du siehst, Silvia, dein Verdienst. Dein klarer Blick für die Notwendigkeit hat damals schon Früchte getragen.“
Silvia Wechselberger habe in ihren 37 Jahren bei den Tiroler Volksschauspielen (36 Jahre war sie deren Geschäftsführerin) alle Wechselberge und -täler dieser Volkstheateridee wirtschaftlich wie künstlerisch mitgetragen – „mit der Sonne und Klarheit deines Wesens, mit der Empathie für unseren Beruf, für die dramatische Kunst, mit deiner Konstanz und Unverwüstlichkeit. Die heurige RUTH ist ein Symbol für alles, was du den Volksschauspielen bist und warst.“
Ein Glücksfall für Telfs – und die Liebe eines Lebens
Es war dann am ersten RUTH-Preisträger Arthur Thöni, die vom Pfaffenhofener Bildhauer Xaver Valentin entworfene und in der Telfer Kunstgießerei Krismer gegossene Bronzestatuette unter dem begeisterten Applaus der zahlreich Hinzugekommenen an Kopp und Wechselberger zu überreichen. Beide nahmen die Auszeichnung sichtlich bewegt entgegen. In seiner launigen Dankesreplik steuerte Helmut Kopp dann ebenfalls eine Anekdote bei und erläuterte den eigentlichen Grund, warum Mitterers Stück „Stigma“ in Hall nicht aufgeführt werden konnte – „ich habe ja nie verstanden, warum sie die Volksschauspiele ziehen ließen“. Für Silvia Wechselberger, die 1983 zunächst als Assistentin des Produktionsleiters zum Festival stieß, waren die Volksschauspiele immer anders, „eine große Familie, wo sich jeder einbringen konnte“. Kein Jahr sei gleich gewesen, „es gab immer neue Herausforderungen, die wir dann gemeinsam gemeistert haben.“ Und sie schloss mit dem denkwürdigen Satz: „Für mich selbst sind die Tiroler Volksschauspiele die Liebe meines Lebens.“
Letztjährige Ankündigung wurde ‚übererfüllt‘
Mit einer Steigerung von 50 Prozent allein bei den Besucher:innen – „das Künstlerische spricht ohnehin für sich“ – habe man die letztjährige Ankündigung von „Da geht noch mehr“ augenscheinlich übererfüllt, resümierte Gregor Bloéb hinterher seine zweite Spielzeit als künstlerischer Leiter der Tiroler Volksschauspiele. „Wir haben gezeigt, was mit einem klaren Konzept und einem kompromisslosen Qualitätsansatz möglich ist.“ Nun sei es an der Zeit, die nächsten Schritte zu planen, „damit wir das Festival dauerhaft auf diesem Niveau halten können.“