Die Tiroler Volksschauspiele wurden vergangenen Samstag mit einer Festrede von Poeta doctus Raoul Schrott über die Parallelen von Theater und Rechtsprechung und einer sich zuspitzenden musikalischen Interpunktion der Formation StreichHammer effektvoll und feierlich eröffnet.
Es zwar zweifelsohne eine der gelehrsamsten Festivalöffnungen, die man je hier im Rathaussaal erlebt hat. Poeta doctus Raoul Schrott hielt für uns eine exklusive Lehrstunde über die ursprüngliche Bedeutung des Theaters und erklärte es uns als ritualisierte Spielform zum Zwecke der Rechtsfindung für die großen ethischen und moralischen Fragen der jeweiligen Zeit. Unterhaltung, so durften wir erfahren, war dabei eigentlich nur ein Nebeneffekt.
Seine knapp vierzigminütige Festrede, in der er die Parallelen zwischen Theater und Rechtsprechung herausarbeitete („Theater ist eine Zeremonie der Gerechtigkeit“), unterbrach er irgendwann in der Mitte, als er gefühlt eine Handvoll roter Fäden und Bezüge in der Hand hielt und meinte: „Geht´s noch? Ich weiß, es ist komplex“, was mit viel Applaus und Jubel quittiert wurde.
Zu Beginn hatte er sich wie folgt vorgestellt: „Gregor hat mich angerufen und gesagt, ein Landecker solle den Telfern etwas darüber erzählen, was Theater mit Gerechtigkeit zu tun hat“ und gab sodann eine superkurze, aber umso erhellendere Inhaltsangabe über Kleists „Zerbrochnen Krug“, in dem er etwa auf die biblische Namensgebung der Protagonisten hinwies.
Ein Faden, den er zuletzt noch einmal aufgriff: Das Stück sei ein #MeToo-Fall des 18. Jh., dieser Diskurs also keine Erfindung der Neuzeit. Jene vermeintlich archaischen Formen, mit denen man in früheren Zeiten versuchte, Ordnung zu schaffen, wie der Sündenbockritus, das „An-den-Pranger-stellen“ oder das rund um den Tegernsee sehr lange übliche Rügegericht des Haberfeldtreibens finde aktuell gerade seine Fortsetzung in der Cancel Culture, so Schrott.
Für einige Aha-Erlebnisse im Publikum sorgte seine Feststellung, dass die Musen, die von einer hethitischen Göttin herrühren, ursprünglich für die Rechtsprechung zuständig waren. Besagte Göttin war zweifelsohne auch Namensgeberin von Moses, der sich bekanntlich oben am Berg Sinai die Zehn Gebote abholte.
„Eine Frau als Justizministerin“ (O-Ton Raoul Schrott) hätten die Griechen in ihrer Frauenfeindlichkeit gerade mal zwei Jahrhunderte ausgehalten. Sie wurden daher dem Musenführer Apollon unterstellt und waren von da an nur noch für die Künste zuständig. Die Rechtsprechung wanderte somit von Gott zu den Menschen, was ja prinzipiell gut sei, wie Schrott anmerkte.
Allerdings holten wir uns derzeit mit Maschinen, Algorithmen und der künstlichen Intelligenz wieder eine neue Art von Orakel über die Hintertür herein. Umso höher sei die Bedeutung der Künste einzuschätzen: „Ich wüsste nicht, wo die Wahrheit des Menschen sich besser darstellt als in den Künsten“.
Insofern hatte Landesrätin Cornelia Hagele, die in Vertretung von Landeshauptmann und Kulturreferent Anton Mattle die Grußworte des Landes überbrachte, vorab schon den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn sie meinte: „Kultur nicht zu fördern, wäre auch eine Sünde“.
Bürgermeister Christian Härting hatte ihr davor ebenso wie dem anwesenden Mobilitätslandesrat René Zumtobel bereits mit auf den Weg nach Innsbruck gegeben, dass das Land seine Budgetmittel für das Festival im kommenden Jahr unbedingt aufstocken möge.
Gregor Bloéb eröffnete auch seine zweite Saison als künstlerischer Leiter der Tiroler Volksschauspiele mit einer atmosphärischen Verortung, was Volksschauspiele für ihn sind: „Theater als Begegnungszone – das ist Volkstheater.“ Er erzählte von den „Krug“-Proben im rostigen Überseecontainer, wo Hitze, Regen und Alltagslärm die Darsteller:innen zusätzlich fordern, von der Wild-West-Wanderbühne, die ein Gerichtssaal sein wird; von den Dorf- und Laienbühnen, die in „Fern von Europa“ wieder um ihr Leben spielen werden und vom Theaterspektakel „7 Todsünden“, welches seine Neuauflage am Birkenberg erleben wird.
Für die lautmalerische Ausgestaltung des einstündigen Festakts zeichnete das eigens gegründete multinationale Ensemble „StreichHammer“ unter der Leitung von Frajo Köhle verantwortlich: Man begann feinsinnig klassisch, switchte von Boogie zu Groove, legte nach mit einer singenden Säge und dem Danger-Dan-Song „Ich verprügelte die Sextouristen in Bangkok“, ehe Antonia Neussl zuletzt mit einem Stemmhammer effektvoll all die schönen Laute effektvoll zertrümmerte.